Ein ziemlich normales Leben ... in einer ziemlich ungewöhnlichen Zeit

Gastbloggerin Elin Langdahl – Mutter von Sofie
Gastbloggerin Elin Langdahl – Mutter von Sofie
Zurück zur Blog-Übersicht
Sofie mit ihrer Familie

Ich bin Elin und die Mutter von drei großartigen, fast erwachsenen Mädels. Unsere Jüngste, Sofie, ist 15 Jahre alt und kommt im Herbst in die zehnte Klasse. Sofie hat eine dyskinetische Zerebralparese (GMFCS-Stufe 5) und braucht die meiste Zeit Unterstützung. Sie kommuniziert mit den Augen und ist kognitiv altersgemäß entwickelt. Diese Geschichte gibt Einblick in ein Familienleben mit Hindernissen, und nun auch noch mit Corona.

Als Sofie in der siebten Klasse war, infizierte sie sich mit einem fleischfressenden Bakterium, und ihr linker Arm musste amputiert werden. Weil Sofie ihre Hände noch nie gezielt bewegen konnte, vermisst sie den Arm nicht so sehr. Ein paar Monate nach der Amputation hatte sie einen Termin in der Ambulanz wegen einer Prothese. Das kam jedoch nicht infrage, weil sie einfach zu viele unfreiwillige Bewegungen macht, was das Tragen sehr erschwert.

Im Arztbericht stand damals: „Ein unglaublich fröhliches Mädchen, das sich an der fehlenden oberen Extremität erstaunlich wenig stört.” Das ist eine sehr treffende Beschreibung unserer Tochter. Trotz ihrer Einschränkungen ist Sofie immer bestens gelaunt. 

Ihre Einstellung und ihr Lächeln

SofieWir erleben immer wieder, dass Sofie mit ihrem Lächeln und ihrer Fröhlichkeit Menschen überrascht, die sie oder uns nicht gut kennen. „Wie sie strahlt.“ „Sie ist so tapfer – nach allem, was sie durchgemacht hat.“ „Sie ist unglaublich stark.“

Das sind gut gemeinte, nette Worte. Aber man sollte nicht vergessen, dass das Leben von Sofie mit all seinen Herausforderungen eben das ist, was sie kennt. Sie hat nichts, womit sie es vergleichen könnte.

So wie jemand, der blind zur Welt kommt, nicht wissen kann, wie es ist, wenn man Farben sieht, kann Sofie auch nicht wissen, wie es ist, keine Behinderung zu haben. Solche Gedanken haben nur wir „Nichtbehinderten“, weil wir ihr Leben mit unserem vergleichen. Sie kennt diesen Körper, seit sie damit auf die Welt gekommen ist, mit all seinen Herausforderungen. Das sollte man nicht vergessen.


Teilhabe braucht Unterstützung und Anpassung

Am wichtigsten ist, unser Alltagsleben so anzupassen, dass Sofie auf Augenhöhe mit den anderen daran teilhaben kann.

Sofie

Sie fährt mit uns SitSki, sie kann mit einer Ballrampe kegeln, und sie kann als Hausaufgabe für den Kochkurs leckere Muffins machen. Der Unterschied ist, dass Sofie bei diesen Aktivitäten Unterstützung braucht. 

Sofie hat fast den ganzen Tag über einen persönlichen Assistenten – zuhause, in der Schule, in der Freizeit und auch nachts. Sie schläft mit einem CPAP, das ist ein kleines Gerät, das den Druck in den Luftwegen aufrechterhält. Es muss immer jemand bei ihr Wache halten, weil sie die Maske nicht selbst abnehmen kann.

Sofies persönliche Assistenten gehören für uns inzwischen zum Leben dazu. Ohne sie wäre der „Corona-Lockdown“ für uns noch eine ganz andere Geschichte gewesen. Wir mussten das Esszimmer und das Wohnzimmer als Arbeitszimmer umgestalten, und Sofie und ihre Schwester, die mitten im Abitur steckte, haben in ihren Zimmern Homeschooling gemacht.


Sommer mal anders

Dieser Frühling war für alle eine komische Zeit, und mit der selbst auferlegten Isolierung war es deutlich ruhiger als sonst.

Was man als Eltern eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen und viel Anpassungsbedarf auf jeden Fall lernt, ist langfristig zu planen. Sofies Vater ist Halbisländer, und wir haben eine speziell für Sofies Bedürfnisse angepasste Hütte in Island. Die Sommerferien waren also immer schon im Januar gebucht.

Im April sollte Sofie eigentlich wegen ihrer Skoliose an der Wirbelsäule operiert werden, aber wegen Corona wurden alle OPs verschoben. Jetzt ist die Operation für September geplant, und wir drücken die Daumen und hoffen, dass es dieses Mal klappen wird. 

Die Rehabilitation nach einer Wirbelsäulenoperation braucht Zeit, also hatten wir zum ersten Mal seit 20 Jahren keinen Sommerurlaub geplant. In Anbetracht der aktuellen Lage war das auch gut so. Jetzt gehen wir eben ohne Plan in die Ferien! Wir wissen nur, dass wir wegen Sofies Skoliose nicht länger als eineinhalb bis zwei Stunden fahren können. Sie braucht häufige Lagerungswechsel, damit sie keine Schmerzen bekommt. 

Ich glaube, dass wir durch das Daheimbleiben und die Isolierung wegen Corona die Frage „Was machen wir im Urlaub?“ in diesem Jahr entspannter angehen konnten als sonst. Sicher freut man sich auf die Ferien, um etwas anderes zu sehen und neue Leute zu treffen. Aber so konnten wir uns darauf besinnen, dass es auch schön sein kann, mal „einfach nur“ zuhause zu sein.

Viele Familien, denen es ähnlich geht wie uns, können keinen Urlaub planen, weil der Gesundheitszustand ihres Kindes es nicht zulässt. Ich glaube, dass es manchmal gar nicht schlecht ist, wenn wir quasi dazu „gezwungen“ werden, unsere „Glücksmomente“ auch mal im eigenen Haus und in der eigenen Nachbarschaft zu finden.

Für mich war so ein „Glücksmoment“, als meine Mädchen mir einen Streich spielten. Sie machten mir vor, dass Sofie nach einer wilden Tanzerei im Wohnzimmer aus ihrem Rollstuhl gefallen war, und natürlich wurde alles gefilmt. Sofies große Schwester hob sie raus, legte sie auf den Boden und schmiss dann den Stuhl mit einem lauten Krachen um. „Mama, Mama komm schnell!“ Mein erster Gedanke, als ich sie da auf dem Boden liegen sah, war: „Oh nein, ihre Wirbelsäule, die OP!“. Sie haben sich schlappgelacht.

Die verschobene Operation bedeutete auch, dass wir die Kommunion verschieben mussten. Zum Glück ist der Pfarrer sehr serviceorientiert, denn schließlich heißt es „macht auf die Tür, die Tor macht weit“, und die Kommunion kann stattfinden, wann es uns passt. Dafür sind wir ihm sehr dankbar. Ich als vorausschauende Planerin habe natürlich die Servietten schon gefaltet, das Menü geplant und die isländische Nationaltracht für unsere Kleine bereitgelegt.

Aber erstmal heißt es jetzt „Ferien“, dann „Operation“ und dann „gerader Rücken“!




Innowalk als Hilfsmittel nach der Operation?

Sofie hat den Innowalk als kleines Mädchen schon einmal ausprobiert. Sie hatte kaum Kopf- und Rumpfkontrolle, und damals war das ein Problem, das wir nicht so einfach lösen konnten. Als wir endlich die perfekte Lösung gefunden hatten, machte uns die Versicherung mit ihrer Forderung, das Gerät täglich zu nutzen, beim Testen einen Strich durch die Rechnung. Wir haben das damals einfach nicht geschafft, wir arbeiteten beide in Vollzeit, die Kinder kamen spät und müde aus der Schule und vom Kindergarten, und wir hatten nicht regelmäßig Zeit. Und das war es dann leider mit dem Test.

Ob Sofie noch einmal einen Innowalk verordnet bekommen kann, wenn die OP geschafft ist und sie keine Schmerzen mehr in Wirbelsäule und Hüfte hat? Sie weiß zwar nicht, wie sich ein Leben auf zwei Beinen anfühlt – aber aufrecht zu stehen findet Sofie toll.

Aktivitätenleitfaden für kinder mit behinderungn

Gastbloggerin Elin Langdahl – Mutter von Sofie
Gastbloggerin Elin Langdahl – Mutter von Sofie

Elin ist Mutter und Ehefrau und leitet die norwegische Organisation Disabled Children’s Parents Association, die sich für Gleichberechtigung und Verbesserungen im Alltag von Kindern und ihren Familien einsetzt. Außerdem arbeitet sie als Beraterin für ein Unternehmen, das persönliche Assistenz für Menschen mit Behinderungen anbietet.

Verwandte Artikel
Newsletter

Hören Sie von Zeit zu Zeit von uns und lernen Sie neue Dinge kennen